Die Grenzen des Feelgood Managements

Wellenbrecher – so lautet das Wort des Jahres 2021. Knapp daran vorbei: Pflexit – mit Blick auf die vielen Berufsaussteiger eine Zusammenziehung aus Pflege und Exit. Während die Coronazahlen nie dagewesene Höhen erreichen, rückt die permanente Überlastung der Pflegekräfte erneut in den Fokus. Sie erleben, so ein NDR-Podcast, nämlich weit mehr als „nur“ Streß – sie erleiden moralische Verletzungen.

„Ich tat mein Bestes, doch es war nicht genug.“

Die Medizinjournalistin Silke Jäger sieht in Pflegekräften Menschen mit einem Ideal. Sie wählten ihren schweren und anspruchsvollen Beruf, weil sie etwas für Menschen tun wollen. Und das möglichst gut, also mindestens nach den geltenden medizinischen und ethischen Vorgaben. Doch genau das sei ihnen in Ausnahmesituationen wie jetzt nicht möglich. Sie erlebten nicht nur das Leiden der sterbenden Patienten, sondern auch die Frustration, den Qualitätsstandards ihres Berufes schon im Alltag, und erst recht in der Krise nicht gerecht werden zu können. In die Erschöpfung nach Dienstschluß mische sich das nagende Gefühl: „Ich tat mein Bestes, doch es war nicht genug.“

Wenn dann noch die manipulative Zuschreibung als Helden hinzukommt, dann werde ein echtes Gewissensdilemma daraus. Sie wissen, daß sie keine Helden sind und den Beifall an den offenen Fenstern nicht verdienen. Obwohl es eigentlich die Aufgabe der Vorgesetzten, des Krankenhauses, des Gesundheitswesens sei, ihnen eine qualitätsgerechte Arbeit zu ermöglichen, suche die Pflegekraft die Schuld zuerst bei sich selbst. Doch über Schuld, Scham, Enttäuschung und das Gefühl, fachlich nicht zu genügen, könne man weder mit Vorgesetzten noch Kollegen sprechen. Es sei existenzgefährdend und könne den Job kosten. Deshalb bleibe es unverarbeitet und nage im Innern immer weiter. Diese dauerhafte Verletzung des moralischen Gewissens und des eigenen Wertesystems führe zu dauerhaften Schädigungen der psychischen Gesundheit – eben zu moralischen Verletzungen.

Es nicht noch schlimmer machen

Was kann der Feelgood Manager tun – sofern es in der Einrichtung einen gibt? Er ist wahrscheinlich die einzige Vertrauensperson, mit denen die Pflegekräfte über ihre Selbstzweifel sprechen können, ohne Angst um ihren Job oder ihr fachliches Ansehen zu haben. Doch mehr dürfte kaum möglich sein. Es geht ja nicht um Streß. Es geht um psychische Verletzungen. Hier greift das Psychotherapeutengesetz. Hier darf der Feelgood Manager nicht ran. Gewöhnliche Streß-weg-Maßnahmen würden nicht nur keine Entlastung erreichen, sondern etwas Ernsthafteres verschleppen und verstetigen – falls es unter den (auch patientengefährdenden) Bedingungen von Gewinnorientierung und Effizienzstreben überhaupt Ressourcen und Zeit für Streß-weg-Maßnahmen gäbe.

Es geht nicht um Streß, es geht um psychische Verletzungen.

Bei moralischen Verletzungen ist vielmehr externe Hilfe gefragt: Präventionsprogramme für Pflegekräfte, oft angeboten über Dienstleister des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. In den Kursbeschreibungen erscheine der Begriff moralische Verletzungen selten, denn er könne stigmatisieren. Und nicht immer sei es so schlimm. Oft ist es doch „nur“ Streß. Ein professioneller Kursanbieter könne aber moralische Verletzungen erkennen und das Thema gegebenenfalls in seine Workshops einbauen. Das Ziel solcher Programme entspricht letzten Endes dem, was auch das Feelgood Management anstrebt: Die Kommunikation im Team und die gegenseitige soziale Unterstützung, den Peer Support fördern. Dennoch sollten das in diesem Fall die Fachleute tun.

Der Podcast nennt weitere Maßnahmen, die solche Programme begleiten müssen: Auch die mittlere Managementebene müsse entsprechend geschult sein und lernen, Gespräche zu führen, die psychisch stabilisierend wirken, statt Druck aufzubauen. Sie sollten über ihre eigenen Schwierigkeiten reden können: „Ich habe damit auch Schwierigkeiten gehabt, dir das zumuten zu müssen.“ Und schließlich könne der Gruppensupport nur in einer Unterstützungskultur gedeihen. Man müsse im Team gemeinsam überlegen, wie unter Ausnahmebedingungen die medizinischen Standards aufrecht erhalten werden können – und wie man einander helfen könne, damit zurechtzukommen, wenn das nicht gehe. Diese Führungs- und Unterstützungskultur auch nach der Maßnahme lebendig zu halten und zu verstetigen, ist dann durchaus die Aufgabe des Feelgood Managers.

Externe Hilfe rufen dürfen

Die Aufgaben des Feelgood Managers sind von Unternehmen zu Unternehmen, und auch abhängig von der eigenen Qualifikation, sehr verschiedenartig. Wenn er es gut macht, kann es leicht passieren, daß man ihm alle möglichen weiteren Aufgaben rund ums Menschliche im Unternehmen überträgt. Um so wichtiger ist es, daß er seine Grenzen kennt – und auch Grenzen setzt, falls man ihm Verantwortung übertragen will, die er nicht tragen kann oder darf. Wenn man die Rolle des Feelgood Managers als Vertrauensperson für alle Beschäftigten betrachtet, dann schließt das meines Erachtens Aufgaben wie Streitschlichtung oder Umgang mit Mobbing aus. Der Feelgood Manager sollte zwar für eine gute Konfliktkultur sorgen, aber nicht Partei für den einen oder gegen den anderen ergreifen müssen. Macht er hier etwas falsch, dann gefährdet er auch seinen eigenen Stand als Vertrauensperson. Wenn es um Mobbing geht, sind obendrein Abgründe von psychischer Gewalt bis hin zum Vernichtungswillen im Spiel. Das ist ganz und gar nicht harmlos. Hier sollten nur Fachleute ran, die wirklich wissen, was sie tun.

Es gibt Parallelen zwischen Kriegsgeschehen und der Arbeit im Pflegeberuf.

Zurück zu den moralischen Verletzungen. Was sie so brisant macht: Es gebe, so der Podcast, Parallelen zwischen Kriegsgeschehen und der Arbeit im Pflegeberuf: Soldaten sehen Kameraden sterben, für die sie Verantwortung tragen. Pflegekräfte sehen Patienten sterben, für die sie Verantwortung tragen. Beide Gruppen hätten es mit schwierigen Gegnern zu tun, die sich nicht an Regeln halten. Der einzelne könne unter solchen Umständen nichts ausrichten, man müsse im Team arbeiten.

Truppen würden darauf vorbereitet, Pflegekräfte gewöhnlich nicht. Soldaten tun ihre Aufgabe so gut, wie es in der Situation eben geht, Pflegekräfte versuchen auch in Krisenzeiten die Standards zu halten. Es gebe keine klare Anforderung, in der Krise wenigstens das zu machen, was geht. Damit seien die Anforderungen an Pflegekräfte in der Krise größer als an Soldaten im Krieg. Die psychischen Folgen blieben nicht auf den jeweiligen Mitarbeiter beschränkt, der zynisch und kalt werde, sondern er gebe das auch an andere, jüngere Kollegen weiter. Das ist am Ende zerstörerisch – für die Person, für das Team und für die Kultur. Nicht nur in Unternehmen der Pflegebranche muß deshalb der Feelgood Manager sowohl solche Dynamiken, als auch seine Grenzen kennen, und externen Rat oder externe Hilfe hinzuziehen dürfen.

Ängste und Entscheidungen respektieren

Bei der Gelegenheit noch ein Gedanke zu den Corona-Impfungen: Die Diskussion um 2G oder 3G ist kontrovers und geht auch an den Unternehmen nicht vorbei. Ungeimpfte Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen wie Aussätzige, ihnen vielleicht die Arbeit zu verbieten oder Lohnfortzahlungen zu verweigern, scheint nötig im Kampf gegen das Virus, ist aber auch ein starkes Stück. Daß gerade Pflegekräfte aus dem medizinischen Bereich zögern, sich impfen zu lassen, könnte daran liegen, daß sie in ihrem Alltag nicht nur die Auswirkungen von Corona sehen, sondern auch die Nebenwirkungen von Impfungen. Doch darüber spricht man nicht.

Noch nie waren die Coronazahlen so hoch wie heute, obwohl noch nie so viele Menschen gegen Corona geimpft waren wie heute.

Noch nie waren die Coronazahlen so hoch wie heute, obwohl noch nie so viele Menschen gegen Corona geimpft waren wie heute. Das ist paradox und erklärungsbedürftig. Ebenso die Erkenntnisse einer Studie, die zumindest im beobachteten Zeitraum eine um so höhere Übersterblichkeit festgestellt hat, je höher die Impfquote ist. Die Dinge sind offensichtlich nicht so einfach, wie Politikermund es verkündet – sie sind wohl eher komplex. Wir dürfen Menschen, die angesichts solcher Umstände Angst vor der Impfung haben, weder ihren Wert, noch unsere Wertschätzung entziehen. Manche widersetzen sich vielleicht einfach nur dem politischen oder sozialen Druck. Andere kennen in ihrem Umfeld Fälle, wo es mit der Impfung schief ging. Wieder andere entscheiden aufgrund ihrer Gabe, Komplexität wahrzunehmen und mit ihr umzugehen – eine unschätzbare Gabe in einer komplex gewordenen Welt, die man keinesfalls „canceln“ und bestrafen, sondern erkennen und nutzen sollte.


Offenlegung: Dieser Text ist kein Aufruf gegen Impfungen, sondern ein Plädoyer für die Wertschätzung individueller Entscheidungen. Ich selbst bin geimpft. Doch ich war angesichts hastig entwickelter neuer Impftechnologien nicht bereit, mich mit jedem Impfstoff impfen zu lassen. Deshalb kann ich die Zweifel der als „Impfverweigerer“ diskriminierten Menschen gut nachvollziehen. Wir sollten ihre Gründe respektieren und gemeinsame Lösungen finden.