Letzte Woche lief in Großbritannien eine Jobwechsel-Werbekampagne der Regierung aus dem Ruder. Das Plakat zeigt eine Tänzerin, die ihre Ballettschuhe schnürt. Dazu der Text: „Fatima’s nächster Job könnte in Cyber sein (sie weiß es nur noch nicht).“ Größer könnte der Kontrast nicht sein: Von der Ballerina zur Klickarbeiterin. Die Kampagne läuft schon länger, präsentierte auch Bäcker oder Tischler, denen ein Jobwechsel in die IT bevorstehen könnte. Aber das war zu viel – bringt doch Corona die Künstler ohnehin in eine Not, in der sie eigentlich die Unterstützung der Regierung brauchten.

Darauf gestoßen bin ich eher zufällig beim Lesen einer Debatte um die sozialen Auswirkungen der Coronakrise. Ein Teilnehmer, der sich „Erdling3“ nennt, kommentiert dort: „Die Ballerina soll also gefälligst ihre Tanzschuhe ausziehen und sich anderweitig nützlich machen, das ist der unverschämte Subtext… Als wären die Neigung, das Talent und die Wünsche des Einzelnen nun vollends egal. Als hätte es sich ausgetanzt. Nur nach der digitalen Pfeife soll getanzt, alles soll anders werden für die Tänzerin. ,Sie weiß es nur noch nicht‘ wird auch noch über den Ballerina-Kopf drübergeflüstert, fast schon verschwörerisch, als hätte die direkt Betroffene die Umwälzung ihres Lebens als Letzte zu erfahren. Als wäre längst über ihren Kopf hinwegentschieden worden, als hätten wir uns immer nur irgendwelchen Bedingungen zu fügen, ohne sie zu gestalten.“
Wie viele Cyber-Menschen braucht diese Welt wirklich? Und wer verzaubert dann mit Pirouetten und Plié?
„Erdling3“
Auf Twitter hat sich mittlerweile ein langer und kreativer Gesprächsfaden entsponnen, mit Seitenhieben gegen die Politik, und die allfällige Erwartung ablehnend, daß sich alles Menschliche und Kreative der Digitalisierung oder anderen wirtschaftlichen oder politischen Zielen unterordnen müsse. Der in meinen Augen schönste Beitrag der Diskussion weist anhand des Plakats selbst auf die Vielfalt der Kreativberufe. Wir brauchen sie alle, auch in einer durchdigitalisierten Welt.

Selbstgewählter Richtungswechsel als Chance
Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, daß Menschen im Lauf ihres Berufslebens die Richtung wechseln. Im Gegenteil, es kann Wachstum und Entwicklung fördern. Ich selbst habe es auch getan – wenn auch umgekehrt: Von der Arbeit mit Computern weg, hin zur Arbeit mit Menschen. Für mich war das eine große Bereicherung. Als Berufungscoach unterstütze ich andere Menschen dabei, genau das zu tun. Entscheidend ist, daß solche Wechsel selbstbestimmt sind. Der Anlaß ist es zwar meist nicht – etwa eine Kündigung, ein nicht mehr zu ertragendes Betriebsklima oder eine aufrüttelnde Midlife Crisis. Doch die Grundlage für die Entscheidung ist die eigene Berufung – Neigungen, Interessen, Begabungen –, auch wenn äußere Bedingungen die Richtung der Entscheidung mit beeinflussen. Oft geht eben nur das, was gerade möglich ist. Doch das ist dann trotzdem selbstgewählt.
Die Dinge im Job selbst (mit)gestalten zu können, gilt heute als einer der stärksten Motivationsfaktoren und als eine der wichtigsten Voraussetzungen für gesundheitsförderliche Arbeit. Ich denke an einen hörenswerten Vortrag, den der Hirnforscher Gerald Hüther während eines Girls Days hielt – einer Veranstaltung, die versucht, die Interessen von Mädchen auf „Jungs-Berufe“ zu lenken. Hüther fährt den Veranstaltern in die Parade, indem er wissenschaftlich korrekt, aber politisch inkorrekt darlegt, daß Jungs und Mädchen unterschiedlich sind. So naheliegend es sei, die beruflichen Interessen junger Leute nach politischen oder gesellschaftlichen Erfordernissen zu beeinflussen, so wenig nützlich sei es – weder für die Betroffenen, noch für die Gesellschaft. Am besten könne sich der Mensch entfalten, wenn er es selbstbestimmt tue.
Stellschrauben und Spielräume nutzen
Wir wissen nicht, was die coronabedingten Bremsspuren noch in der Wirtschaft anrichten werden. Um so wichtiger ist es gerade jetzt, auf das schier unerschöpfliche Potential des Menschen zu setzen. Da, wo es noch oder wieder läuft, gibt es für den Mitarbeiter auch an seinem Arbeitsplatz Möglichkeiten des motivierenden Mitgestaltens: Etwa das Job Crafting – kleine, selbstinitiierte Veränderungen, die eine bessere Passung zwischen der Arbeit und den Stärken des Mitarbeiters ermöglichen. Kleine Ursache – große Wirkung: Studien zeigen, daß Job Crafting Leistung, Engagement und Zufriedenheit steigert. Für die Organisation bedeutet das ein Umdenken, schafft aber Wettbewerbsvorteile auf dem Arbeitsmarkt und im Umgang mit Komplexität und Wandel.
Es geht weniger darum, Menschen zur Arbeit zu motivieren, sondern darum, wie man Menschen unterstützen kann, aktiv zu werden und ihre eigene Arbeit motivierend zu gestalten.
Amy Wrzesniewski/Jane E. Dutton
Hier und da an einer Stellschraube drehen, eine ungeliebte Aufgabe mit einem Kollegen tauschen, der es besser kann, und ihm dafür seinerseits eine ungeliebte Aufgabe abnehmen – schon kleine Veränderungen reichen, die Arbeit motivierender und sinnerfüllter zu machen. Damit das im Einklang mit den Zielen und Bedürfnissen der Organisation bleibt, braucht es das Vertrauen und die funktionierende Kommunikation zwischen Mitarbeitern, Vorgesetzten und der Personalabteilung – mit anderen Worten: Eine Unternehmenskultur, in dem man mit dem Chef oder dem Personaler auch über das reden kann, was man nicht so gut kann. Kultur, Kommunikation, Vertrauen – hier gibt es Arbeit für den Feelgood Manager.
Möglicherweise kann der Feelgood Manager noch mehr tun. Als Coach stelle ich fest, daß viele der begabtesten Menschen nicht mit dem in Berührung sind, was in ihnen steckt. Sie wären also gar nicht in der Lage, Job Crafting zu initiieren. Es braucht Zeit und vor allem eine zwanglose Umgebung, um diese verborgenen Schätze zu entdecken. Dieses Privileg habe ich als Coach. Ein vielbeschäftigter Chef oder Personaler hat es vielleicht nicht. Könnte es ein Feelgood Manager haben, der sich für ein zwangloses Gespräch in der Mittagspause Zeit nimmt?