Heute ist der Tag der Diversität – überraschende Ansage heute morgen im Radio. Diversität – oder, wer es englisch mag, Diversity – ist mir schon als Coach lange ein Anliegen, denn die Verschiedenartigkeit der Beteiligten macht die Wirkung des Coachings aus: Weil der Coach der Andere ist, mit einer anderen Perspektive, einem anderen Horizont und einer anderen Bildung, sieht er Dinge, die dem Klienten entgehen, und hilft so zur Problemlösung. So auch im Team: Die Verschiedenartigkeit seiner Mitglieder macht seine Stärke, Kreativität und Produktivität aus.
Die Monokultur eines Getreidefelds oder die Vielfalt einer bunten Blumenwiese – die Unterschiede sind offensichtlich: Während die Monokultur viel Pflege braucht und empfindlich auf Umweltveränderungen reagiert, blüht die Blumenwiese ganz von selbst und übersteht sogar einen Jahrhundertsommer. Vielfalt stärkt die Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen zu überstehen – wichtig in krisenhaften Zeiten des Wandels. Leider habe ich den Eindruck, daß viele Teams und Unternehmen eher der Monokultur als der Blumenwiese ähneln: Gleiche Bildungswege, gleiche Abschlüsse, gleiche Persönlichkeiten.
Diversität durch Gleichbehandlung?
Zwar hofft das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eben über die Verpflichtung zur Gleichbehandlung, Diversität zu erzeugen. Immerhin sind die Stellenanzeigen korrekt gegendert, und gelegentlich liest man, daß Behinderte bei gleicher Eignung bevorzugt würden. Doch es scheint zumindest mit manchen Diversitätsdimensionen – vor allem der Altersdiversität – nicht so recht voranzukommen. Zu viele Vorurteile stehen davor. Und das AGG selbst verhindert so manch guten Ansatz: So wollte ein Unternehmer seine Belegschaft gern um ältere Mitarbeiter ergänzen, doch das AGG verböte ihm, sie gezielt anzusprechen.
„Ich will nicht kämpfen. Ich will unterstützen.“
Darüber hinaus finde ich, wir brauchen weitere Diversitätsdimensionen als nur die sechs im AGG geannten. Beispiel Apple: Im Gründerteam waren zwei Leute mit dem Namen Steve. Einmal Steve Jobs. Hochgradig extrovertiert, war er der geborene Verkäufer, der die Kunden für Apples Produkte begeisterte. Doch hätte er nie etwas verkaufen können, hätte es nicht den anderen Steve gegeben: Steve Wozniak, den introvertierten Tüftler, der all diese genialen Dinge überhaupt erst erfand und zum Laufen brachte. Introvertiert und extrovertiert – ein überaus erfolgreiches Dreamteam. Keines kommt ohne das andere aus.
Lange galt Introversion als Schwäche. Erst seit einigen Jahren entdeckt die Forschung die erstaunlichen Stärken und Leistungen der Introvertierten. Sie sind gute Beobachter und Problemlöser. Doch in unserer Arbeitswelt scheint es ein Übergewicht an Extrovertierten zu geben. Der übliche Bewerbungsprozeß, der viel extrovertierte Selbstdarstellung verlangt, sondert Introvertierte gewollt oder ungewollt aus – falls das nicht schon das extrovertiert formulierte Stellenangebot tat. Eine Controllerin erzählte mir von einem interessanten Stellenangebot. Alles paßte, aber ein Satz in der Aufgabenbeschreibung ließ sie zurückschrecken: „Sie sind Sparringspartner der Fachabteilung.“ Sie sagte: „Ich will nicht kämpfen. Ich will unterstützen.“ In diesem Moment wußte ich, daß damit dem Unternehmen eine wirklich gute Controllerin verlorengegangen ist.
Schieflage verhindern
Wenn alle Passagiere eines Schiffes auf eine Seite treten, liegt es schief im Wasser. Es wird instabil, giert zur Seite (fährt nicht mehr geradeaus), ein scharfes Manöver oder eine größere Welle kann es kentern lassen. Ähnliche Schieflagen entstehen in Unternehmen, wenn es an Diversität fehlt. Extrovertierte und Introvertierte sind durch unterschiedliche Sätze typischer Werte und Interessen motiviert, die ihren jeweiligen Beitrag zum Ganzen bestimmen. Beide sind gut, doch sie bedingen einander. Die Liste läßt sicher ahnen, was es für Unternehmen bedeutet, wenn eine der beiden Seiten zu viel oder zu wenig Gewicht hat:
Extrovertierte – Introvertierte
Quantität – Qualität
Wettbewerb – Kooperation
Erfolg – Nachhaltigkeit
Zielorientierung – Prozeßorientierung
Führen – Begleiten
Risiko – Vorsicht
Erobern – Bebauen
Vermehren – Verbessern
Tempo – Beständigkeit
Freiheit – Sicherheit
Wachstum – Konsolidierung
Dynamik – Besonnenheit
Wie kann man solch eine Schieflage korrigieren? Bewerbungsprozesse überdenken? Stellenangebote anders texten? Diversität „managen“? Manches kann helfen, aber ich denke, das alles setzt noch zu sehr an den Symptomen an. Der weitaus schwierigere Teil ist: Die Schieflage als Ursache erst mal wahrnehmen. Vorurteile erkennen und abbauen. Die Vielfalt der Charaktere sehen lernen und akzeptieren. Offen sein für Überraschungen. Zulassen, daß die Entscheidung „suboptimal“ sein darf. Gerade solch ein „Stück zurück“ kann Raum für überraschende Entwicklungen öffnen. Menschen sind komplexe Wesen. Hier kann es weder eine objektive, noch eine perfekte Entscheidung geben. Aber es sind ja Menschen: Wenn man Raum für selbstorganisierende Prozesse im Team läßt, dann rüttelt sich das schon zurecht.
Was der Feelgood Manager tun kann
Und damit kommt der Feelgood Manager ins Spiel. Er begleitet solche Prozesse direkt am Menschen. Wenn er wie ein Coach denkt, dann hadert er nicht mit ungünstigen Entwicklungen (oder „falschen“ Entscheidungen des Personalers), sondern greift die Ist-Situation auf und macht das Beste daraus. Seine auf den Menschen fokussierte Haltung kann zur Keimzelle einer Unternehmenskultur werden, die offen für jeden Menschen ist: In jedem Menschen steckt ein ungeahntes Potential, das sich entfalten will. Die Vielfalt der Charaktere, Blickwinkel und Fähigkeiten macht das Team stark. Wenn es sich auf sein Ziel fokussiert, kann es jeden integrieren und die Konflikte, die durch diese Unterschiede entstehen, in Stärke umwandeln.
In jedem Menschen steckt ein ungeahntes Potential, das sich entfalten will.
Speziell für die oben genannte Introvertierten – als Coach habe ich Introversion als ein besonders ergiebiges Potential schätzen gelernt – kann der Feelgood Manager zum persönlichen Ansprechpartner werden. Sie mögen es nicht, ihre Beobachtungen und Ideen allzu öffentlich preiszugeben – etwa in Meetings. Persönlich gefragt, tun sie es aber gern. Und dem Team kann der Feelgood Manager dabei helfen, den introvertierten Teammitgliedern den Raum und die Sicherheit zu geben, den sie brauchen, um ihre Beobachtungen auch in größerem Rahmen zu kommunizieren. Damit ist der Feelgood Manager im Zentrum seiner Mission: Kommunikation und Feedback zu fördern.
Das Ziel ist nicht die störanfällige, homogene Monokultur, sondern die resiliente, heterogene Blumenwiese. Sie läßt das Unternehmen buchstäblich florieren – also blühen und gedeihen.