Vertrauen ist besser als Kontrolle

Messebesuch auf der Zukunft Personal Nord: Wie steht es um den Menschen im Unternehmen? Wie entwickeln sich die Dinge? Ich lerne ja immer gern dazu. Ein Höhepunkt des Tages war für mich der Vortrag „Überlebenskurs für Unternehmen“ der Unternehmensberaterin und Buchautorin Pia Struck. Ihre zentrale Frage angesichts des allgegenwärtigen und nicht enden wollenden Wandels: Was braucht es wirklich, um Digitalisierung und Globalisierung zu meistern?

Nein, sie nannte nicht das Feelgood Management. Aber sie visualisierte am Beispiel Samsungs das, was auch Feelgood Management tut. Samsung, klassisch pyramidenartig organisiert, hat zusätzlich zur weithin üblichen Hierarchie ein Innovationsnetzwerk im Unternehmen geschaffen, das kreative Mitarbeiter aus allen Bereichen abseits der klassischen Dienstwege miteinander vernetzt. Das versetzte Samsung in die Lage, praktisch aus dem Nichts heraus ein ernstzunehmender Konkurrent für Apple zu werden.

Beispiel Samsung: „Effizienzkultur trifft Innovationskultur“
(Veröffentlichung der Fotos mit freundlicher Genehmigung der Referentin)

Bitte wundern Sie sich nicht über das pixelige Bild. Aufgenommen habe ich es mit meinem trotz seines Alters immer noch hochgeschätzten Nokia-Tastentelefon. Leider ist Nokia ein Beispiel für einen Marktführer, das sich dem Wandel verschlossen hat. Sie ruhten sich auf ihren Erfolgen aus, übersahen die Zeichen der Zeit, verschliefen die Entwicklung – und landeten in der Bedeutungslosigkeit. Noch krasser das auch von Pia Struck genannte Beispiel des Unternehmens, das die Digitalfotografie erfunden hat. Da es mit seiner eigenen Erfindung nichts anfangen konnte und beim Gewohnten blieb, wurde das Unternehmen – nämlich der Filmhersteller Kodak – einfach vom Markt gefegt. Oder, wie man es auf englisch sagt, „kodaked“.

Die zweite Säule

Aber das nur am Rand. Zurück zum Messevortrag: Diese „zweite Netzwerk-Lage“ im Unternehmen ist das, was Feelgood Management tut, indem es die Mitarbeiter miteinander ins Gespräch bringt. Feedback, Kommunikation und Wissensflüsse fördern – das sind die zentralen Arbeitsfelder des Feelgood Managements. Das Nebeneinander von Hierarchie und informellem Netzwerk bedeutet: Eine zweite organisatorische Säule entsteht im Unternehmen, die es im unausweichlichen Wandel trägt und stabilisiert. Die Existenz dieser zweiten Säule vermag offenbar auch bei Fortbestehen der klassischen Hierarchie schon erstaunlich starke Wachstumsimpulse zu geben.

Diese zweite Säule ist allerdings von anderer Natur als die erste. Sie ist nicht die planmäßige Umsetzung eines Organigramms, sondern sie entsteht selbstorganisierend, ohne daß jemand etwas steuert – auch nicht der Feelgood Manager. Er schafft nur den Raum dafür, daß es passiert. Er gibt Impulse, „macht“ es aber nicht, denn es soll ja selbstorganisierend sein, damit es wirklich paßt. Die zweite Säule entsteht nicht top-down, sondern bottom-up. Nicht geplant, sondern spontan. Nicht von außen gesteuert, sondern durch die Beteiligten selbst. Sie ist nicht in Stein gemeißelt, sondern agil. Wer die Sicherheit der klassischen Hierarchie gewohnt ist, mag sich mit solch einem informellen Netzwerk unsicher fühlen: Ist so etwas überhaupt tragfähig? Woher sollen die Leute wissen, was sie tun sollen? Und wie kann man so etwas steuern und kontrollieren?

Doch nur eine Säule?

Doch nicht genug damit. Die Rednerin nannte ein weiteres Beispiel: Den holländischen Pflegedienstleister Buurtzorg. Er kommt von Anfang an ganz ohne Hierarchie und Führungskräfte aus, stellt „Menschlichkeit vor Bürokratie“, baut ausschließlich auf das Netzwerk der mittlerweile 14.000 Mitarbeiter. Sie sind ja am nächsten an den Patienten dran und wissen am besten, was sie brauchen – besser als ein zentrales Management, besser als die Krankenkassen, besser als die Politik.

Beispiel Buurtzorg: Informelles Netzwerk – es funktioniert!

Buurtzorg setzt ganz auf die Dynamik selbstorganisierter Teams. Sie umfassen nicht mehr 12 Personen, so daß sich alle verantwortlich fühlen und Führungsfragen gar nicht erst entstehen. Es gibt kaum „Overhead“ im Unternehmen. Entscheidungen treffen die Teams selbst. Vernetzt sind sie digital durch eine Plattform, auf der sie beispielsweise Erfahrungen austauschen und voneinander lernen können. Obwohl sich die Mitarbeiter Zeit nehmen können für ihre Patienten – und deshalb ihre Arbeit gern machen –, arbeitet Buurtzorg weit effizienter als andere Pflegedienste und entlastet damit die staatlichen Pflegekassen überdurchschnittlich. Und: Sie können sich vor Bewerbern kaum retten.

„Gebt den Pflegekräften ihre Berufung zurück und schafft Rahmenbedingungen, daß sie die Menschen so betreuen können, wie sie es lieben. Wenn Schwestern und Pfleger ihre Arbeit wieder schätzen, sind auch Patienten und Angehörige glücklich.“
Buurtzorg-Mission

Wie macht Buurtzorg das eigentlich? Das wollte die Unternehmensberatung KPMG wissen und schaute sich das Pflegeunternehmen genau an. Fast alles, was ein hierarchisches Unternehmen braucht, um zu existieren, fehlt Buurtzorg erstaunlicherweise. Niemand sagt den Leuten, was sie tun sollen. Niemand kontrolliert sie. Es kann eigentlich nicht funktionieren. Aber es funktioniert! Und zwar erfolgreich. Die Unternehmensberater waren ratlos. Es mußte etwas geben, so die Rednerin, das sie nicht auf dem Schirm hatten. Sie zeigte es auf ihrer letzten Folie – und gab damit Antwort auf die Frage, was es wirklich braucht, um den digitalen Wandel zu meistern: Vertrauen in die Mitarbeiter.

Vertrauen ist besser als Kontrolle